Optimieren & dekarbonisieren mit dem Digital Energy Twin

Die europäische Energieversorgung prägt 2022 den politischen Diskurs. Der Füllstand österreichischer Gasspeicher oder das Merit-Order-Prinzip sind als Gesprächsthemen massentauglich. Maßnahmen zur Reduktion der Abhängigkeit von Erdgas und zum Ausbau erneuerbarer Energien beschäftigen Politik und Industrie.

Der möglichst effiziente Einsatz von Energie ist eine wichtige Zielsetzung für die österreichische Industrie. Knappe Ressourcen und ambitionierte Klimaziele erfordern innovative Herangehensweisen, insbesondere in der energieintensiven Produktion. Digitalisierung und Industrie 4.0 spielen dabei eine wichtige Rolle.

Digitale Zwillinge bilden die Grundlage für die Identifikation vieler Effizienzsteigerungen, auch im Bereich der Energieversorgung. Der „Digital Energy Twin“ wurde daher kürzlich in der Plattform Industrie 4.0 thematisiert. Als Bereichsleiter Industrielle Systeme bei AEE INTEC ist Jürgen Fluch zuständig für das gleichnamige Leitprojekt, das aus Mitteln des Klima- und Energiefonds gefördert wird (Vertragsnummer 873599). Das Projekt, dessen Verlauf und bisherige Erkenntnisse stellte Hr. Fluch in einem „Research Insight“ den Mitgliedern der Plattform vor.

Prozessabhängige Ausgangslage und Potenzial

Die Produktion von Gütern benötigt sehr viel Energie. Nur etwa 25% des Energiebedarfs werden dabei als Elektrizität benötigt, 75% sind für die Deckung des Wärme- und Kältebedarfs notwendig.  Die Erzeugung von Prozesswärme kann besonders energieintensiv sein, der tatsächliche Energiebedarf hängt vom jeweiligen Prozess ab: Trocknen oder Dampfen (< 150°C) benötigen niedrigere Temperaturen als ein Stoffumwandlungsprozess (> 400°C).

Bei der Erzeugung von Prozesswärme kommen häufig fossile Brennstoffe zum Einsatz. Liegt der Wärmbedarf jedoch bei Temperaturen unter 400°C (z.B. in der Papierindustrie, im Maschinenbau oder der Lebensmittelindustrie), dann gibt es viel Potenzial für erneuerbare Energietechnologien und Maßnahmen im Bereich der Energieeffizienz. 60% des gesamten industriellen Prozesswärmebedarfs könnten mit erprobten Technologien reduziert bzw. dekarbonisiert werden. Die Herausforderung ist die optimale Kombination dieser Technologien und genau hier setzt das Projekt Digital Energy Twin an.

Wissenslücken digital schließen

Die Dekarbonisierung eines spezifischen Industrieunternehmens setzt viel Knowhow und verfügbare Daten voraus. Ein Unternehmen muss wissen, welche Prozess- und Versorgungstechnologien aktuell eingesetzt werden. Darauf aufbauend können jene Technologien (z.B. Photovoltaik, Solarthermie, Wärmepumpen) ausgewählt und kombiniert werden, die Energie zum richtigen Zeitpunkt und in der richtigen Menge zur Verfügung stellen können. Eingesetzte Lösungen müssen zudem wirtschaftlich sinnvoll und verfügbar sein. Das Projekt Digital Energy Twin erarbeitet diese Lösungen gemeinsam mit und für AT&S, einem der weltweit führenden Produzenten von Leiterplatten.

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Mehr Informationen

Das Projekt und dessen Bedeutung für AT&S

Der digitale Energiezwilling bildet eine Fabrik virtuell ab und erarbeitet die optimale Energieversorgung abgestimmt auf den tatsächlichen Energiebedarf des Unternehmens. Dabei kommen Modelle und Systemsimulationen zum Einsatz, die aktuell im Forschungsprojekt erarbeitet werden. Die virtuelle Abbildung der Produktion ermöglicht die Vermeidung von Risiken und negativer Auswirkungen für die reale Produktion. Die Optimierung kann unter Berücksichtigung verschiedener Zielsetzungen (z.B. Kosten, möglichst CO2-neutral) erfolgen.

Am Weg zur dekarbonisierten Produktion

Durch den digitalen Energiezwilling wird eine Entscheidungsgrundlage für Investitionen auf der Grundlage realer Daten geschaffen. Durch die Vorgehensweise können der Energiebedarf minimiert und Lastspitzen reduziert werden. Erneuerbare Energietechnologien können maximiert werden, wodurch Kosten und CO2-Emissionen gesenkt werden können und die Versorgungssicherheit erhöht werden kann.

Das Leitprojekt Digital Energy Twin wurde vor drei Jahren gestartet, der digitale Energiezwilling ist daher bereits in der Testphase und der Implementierung bei AT&S. Von den Erfahrungen aus dem Projekt und aus weiteren Projekten von AEE INTEC, z.B. zur CO2-neutralen Brauerei, können heute auch Unternehmen außerhalb des Projektkonsortiums profitieren. Dafür notwendig sind: genaue und ausreichend viele Daten, eine Infrastruktur für deren Speicherung, das notwendige (auch finanzielle) Commitment und ein kompetentes Team für die Umsetzung.

Research Insights der Plattform Industrie 4.0

Wir bedanken uns bei Jürgen Fluch für den spannenden Input! Die Research Insights (nachzulesen z.B. hier oder hier) der Plattform Industrie 4.0 sind für alle Mitglieder der Plattform zugänglich. Sollte Ihr Unternehmen Mitglied, Sie aber nicht auf unseren Verteilern sein, melden Sie sich bitte bei michael.faelbl@plattformindustrie40.at.

Sollten Sie noch kein Mitglied sein, dann können Sie dies gerne werden und wir freuen uns ebenfalls über Ihre Kontaktaufnahme.

Wenn Sie ein Forschungsprojekt kennen oder an einem Projekt arbeiten, das sich für ein Research Insight eignen könnte, kontaktieren Sie uns gerne jederzeit!

Foto von Scott Webb auf Unsplash

Michael Fälbl