Wie können wir Europas industrielle Zukunft nachhaltig, digital und menschlich zugleich gestalten?
Impulse aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zeigen Wege auf, wie Technologie zum Werkzeug für Verantwortung, Innovation und Resilienz wird.
Generalmajor Peter Vorhofer stellte vor wenigen Monaten das Risikobild Österreichs 2024 vor. Eine zentrale Nachricht ist, dass der aktuell dominierende Megatrend „Umbruch der Weltordnung“ uns voraussichtlich noch 20 bis 30 Jahre begleiten wird, erst danach sei mit einer stabileren globalen Ordnung zu rechnen. Damit sind große Herausforderungen verbunden – vom Umgang mit geopolitischen Spannungen oder der Klimakrise bis hin zu wirtschaftlicher und sozialer Unsicherheit.
Doch die Zukunft ist, wie der Quantenphysiker Hans-Peter Dürr immer wieder betont – unbestimmt und der Historiker Timothy Snyder formulierte 2019 in seiner Rede an Europa eine eindringliche Botschaft: Europa ist heute die weltweit einzige Alternative zu den immer noch vorherrschenden imperialen Ordnungsmodellen – eine funktionierende, demokratische Solidargemeinschaft mit großem Wohlstand und enormer Innovationskraft.
Diese Sonderrolle ist nicht nur ein Privileg, sondern auch Verantwortung – und genau aus diesem Grund widmeten die FH JOANNEUM Kapfenberg und die Plattform Industrie 4.0 eine Kooperationsveranstaltung im Smart Production Lab der Frage, wie eine zukunftsfähige, resiliente und menschenzentrierte Industrie gestaltet werden kann.
Impulsvorträge: Vier Perspektiven auf den Wandel
Steven Dhont (Bridges): Industrie 5.0 als europäisches Leitbild
Steven Dhont, Koordinator des Horizon Europe Projektes Bridges 5.0, stellte das Konzept Industrie 5.0 vor – das die EU-Kommission als bewusste Weiterentwicklung von Industrie 4.0 verstanden wissen will. Statt reiner Effizienzsteigerung durch Automatisierung geht es darum, Talente zu fördern, Diversität zu respektieren und Mitarbeitende zu stärken. Der europäische Arbeitsplatz wird dabei nicht auf die Kostenperspektive reduziert, sondern er wird eine zentrale Quelle für Wettbewerbsfähigkeit durch Qualität, Kreativität und technische Exzellenz. Dhondt betonte, dass Technologie nicht ersetzen, sondern befähigen soll – etwa durch KI-gestützte Assistenzsysteme. Im Kontext des European Green Deal ist Industrie 5.0 ein Weg, Nachhaltigkeit und wirtschaftlichen Erfolg zu verbinden. Regulierungen wie CSRD und CBAM sind langfristig kein Nachteil, sondern ein strategischer Vorteil für resilientere Geschäftsmodelle. Studien zeigen laut Dhondt, dass besonders soziale Aspekte – etwa gute Arbeitsbedingungen – wesentlich zur Unternehmensperformance beitragen. Die EU-Kommission versteht sich zunehmend als aktiver Gestalter dieser Transformation, etwa durch die geplante „Quality Jobs Roadmap“. Projekte wie Bridges 5.0 bieten konkrete Beteiligungsmöglichkeiten für Wirtschaft und Forschung. Industrie 5.0 kann so zum Ausdruck eines neuen europäischen Selbstverständnisses werden.
Roland Sommer (Plattform I4.0): Triple Transformation – Struggle for the Better
Roland Sommer stellte, ausgehend vom mit Industrie 5.0 verwandten Konzept der „Triple Transformation“, unter anderem technologische Abhängigkeiten, globale Konkurrenz und den demografischen Wandel als aktuellen Herausforderungen für die europäische Industrie dar. Ergänzend präsentierte er das Konzept der Triple Transformation, das digitale, grüne und soziale Veränderungsprozesse integriert betrachtet. Er betonte, dass viele Digitalisierungsprojekte weniger an der Technik, sondern vielmehr an kulturellen und organisatorischen Defiziten scheitern. Als europäische Antwort auf die globale Konkurrenz plädierte er für frugale Innovation – einfache, robuste und bedarfsgerechte Lösungen. Programme wie AI Factories oder Test Before Invest sind zentrale Hebel, um insbesondere KMU bei der Transformation zu unterstützen. Im Bereich Nachhaltigkeit hob er die Potenziale von digitalen Produktpässen und Energiezwillingen hervor. Auch die Kreislaufwirtschaft bietet neue Geschäftsmodelle und Innovationschancen. Für die soziale Dimension präsentierte Sommer die „Inner Development Goals“ – ein Framework, das innere Kompetenzen für äußere Transformation stärkt. Sein Fazit: Nur wer alle drei Transformationsdimensionen gemeinsam denkt und angeht, wird langfristig erfolgreich, resilient und menschlich wirtschaften können.
Helmut Schrom-Feiertag (AIT): Vom Leitbild zur Lösung
Schrom-Feiertag stellte in seinem Vortrag das Konzept der menschenzentrierten Technologieentwicklung (Human-Centered Design) in den Mittelpunkt. Technologische Lösungen sollen nicht allein aus ingenieurtechnischer Sicht entwickelt werden, sondern im engen Zusammenspiel mit den Bedürfnissen, Fähigkeiten und Kontexten der Nutzer:innen. Zentrale Prinzipien sind die frühzeitige Einbindung der Anwender:innen, iterative Entwicklungsschritte mit Prototypen sowie ein klarer Fokus auf Usability und User Experience. Menschenzentrierung ist dabei nicht nur eine Frage des Designs, sondern soll strategisch in Organisationen verankert werden – etwa durch Schulungen, kreatives Arbeiten und systematischen Dialog. Industrie 5.0 setzt neue Maßstäbe, indem Nachhaltigkeit, Resilienz und der Mensch als zentraler Akteur in den Vordergrund rücken. Anhand konkreter Use Cases zeigte er auf, wie diese Prinzipien in der Praxis umgesetzt werden – beispielsweise bei der Fernsteuerung von Industriekränen, in der Qualitätssicherung durch Eye-Tracking oder bei haptischem Feedback zur Maschinenbedienung. Die präsentierten Beispiele machen deutlich, wie menschliche Fähigkeiten mit technologischer Unterstützung synergetisch verbunden werden können. Dabei geht es nicht nur um technische Machbarkeit, sondern auch um Akzeptanz, Motivation und Arbeitsqualität. Der Mensch wird hier als aktive Wissensquelle verstanden, nicht als bloßer Bediener. Menschenzentrierte Technologien sind nicht nur leistungsfähiger, sondern auch nachhaltiger und resilienter.
Wolfram Rhomberg (AIT): Roadmap & Foresight Brief
Wolfram Rhomberg präsentierte im Rahmen seines Vortrags eine europäische Roadmap und einen österreichischen Foresight Brief zur menschenzentrierten Gestaltung und Implementierung von Innovation und Technologie in der Industrie. Er betonte, dass Human-Centricity nicht nur soziale Verantwortung bedeutet, sondern eine strategische Antwort auf Digitalisierung, Automatisierung und Fachkräftemangel ist. Internationale Beispiele zeigen, dass eine zu technikgetriebene Automatisierung Rückschritte verursachen kann, wenn menschliche Aspekte vernachlässigt werden. Besonders für den Standort Österreich ist es entscheidend, die Attraktivität industrieller Arbeit für junge Menschen durch bessere Arbeitsgestaltung zu erhöhen. Menschenzentrierte Technologien erfordern eine systematische Umsetzung, die Organisation, Qualifikationen und Perspektiven aus allen Unternehmensebenen einbezieht. Rhomberg stellte drei Technologieszenarien vor – vom Human-in-the-loop über hybride Modelle bis zur „Dark Factory“ –, wobei er Letzteres als wenig realistisch für die breite Umsetzung einstufte. Im Foresight Brief wurden vier Handlungsdimensionen identifiziert, wobei besonders Qualifikation, KI und klare Leitlinien als vorrangig bewertet wurden. Rhomberg unterstrich, dass Technologien erst durch bewusste Gestaltung menschenzentriert werden. Abschließend forderte er ein ganzheitliches Zusammenspiel von Politik, Bildung, Industrie und Kultur, um resiliente und zukunftsfähige Arbeitswelten zu schaffen.
Erfolgsfaktoren der Triple Transformation: Erkenntnisse aus der Podiumsdiskussion
Die Podiumsdiskussion, an der unter der Leitung von Sabrina Sorko (FHJ) alle Vortragenden sowie Martin Tschandl (FHJ) und Matteo Fedeli (Infineon) teilnahmen, widmete sich den Chancen und Herausforderungen der Triple Transformation und Industrie 5.0, insbesondere deren gleichzeitiger digitaler, ökologischer und sozialer Dimension. Die Teilnehmenden betonten, dass nachhaltige und menschenzentrierte Umsetzung keine Zusatzanforderung, sondern ein strategischer Erfolgsfaktor ist. Hochschulen wurden als Schlüsselakteure hervorgehoben, um Transformation durch Bildung, Forschung und Praxisnähe gesellschaftlich zu verankern. Staatliche Institutionen und Innovationszentren sollten besonders KMU durch gezielte Unterstützung und Wissenstransfer stärken. Unterschiedliche Industriesichten zeigen: Auch wenn Exportbetriebe unter globalem Preisdruck stehen, können diese mit nachhaltigen Geschäftsmodellen wirtschaftlich profitieren. „Frugale Innovation“ – also einfache, ressourcenschonende Lösungen – wurden als europäischer Wettbewerbsvorteil diskutiert.
Ein weiterer Aspekt, der diskutiert wurde, ist die hohe Misserfolgsquote von Transformationsprojekten. Dies unterstreicht die Bedeutung von klarer Vision, strategischer Führung und breiter Einbindung. Erfolgreiche Praxisbeispiele zeigten, dass Vertrauen, Lernkultur und gesellschaftliche Verantwortung zentrale Erfolgsfaktoren sind. Beratung muss nicht nur konzeptionell, sondern auch dialogisch und empathisch erfolgen. Die Diskussion mündete in der Einsicht: Transformation gelingt durch Kooperation, transparenter Kommunikation und einer Kultur der gemeinsamen Verantwortung.
Abschließend wurde in einem interaktiven Workshop diskutiert, wie sich Veränderungsprozesse in Zukunft erfolgreicher im Sinne von Industrie 5.0 und/oder Triple Transformation gestalten lassen. Das Ergebnis finden Sie hier zur Verwendung und Weiterentwicklung.
Gemeinsame Leitidee: Zukunft verantwortlich gestalten
In allen Beiträgen und auch in der abschließenden Podiumsdiskussion wurde klar: Es geht nicht um Technikeuphorie oder Verweigerung – sondern um den konstruktiven Umgang mit Verantwortung. Europa hat eine globale Schlüsselrolle inne. Die Herausforderung besteht darin, den digitalen und ökologischen Wandel menschenzentriert zu gestalten, Innovationskraft mit Werten zu verbinden und Transformation als kollektive, gestaltbare Aufgabe zu verstehen.
Anmerkung: Die Informationsverarbeitung (Transkription, Zusammenfassung) erfolgte unter Einsatz von KI. Die finale Fassung wurde manuell überprüft und redaktionell überarbeitet.