AVL List: Neue Geschäftsmodelle durch IoT

AVL List: Neue Geschäftsmodelle durch IoT

Case Study AVL List: Neue Geschäftsmodelle durch IoT – Entwicklung von „Smart Services“ auf Basis von Betriebsdaten

Kurzfassung

Im Zuge eines EU-Forschungsprojekts entwickelt AVL ein Smart Service Konzept, in dem Betriebsdaten von AVL Testsystemen hochsicher an eine zentrale Datenbank übermittelt und im Rahmen von Service-Prozessen verarbeitet werden können. Ziel dieses Pilotprojekts ist es, die Betriebsstunden und weitere Betriebsdaten von Messgeräten, die bei unterschiedlichen internationalen Kunden stehen, an ein zentrales Backend zu übermitteln. Basierend auf diesen Daten können unter anderem Service-Einsätze optimal geplant werden. Durch dieses automatisierte Verfahren sollen sowohl Fehlerquellen als auch Wartungsaufwände reduziert werden. Dabei müssen neben technischen Konzepten insbesondere auch Security-Konzepte entwickelt und umgesetzt werden, die die Anforderungen von AVL Kunden berücksichtigen. Hierzu zählt insbesondere die vollständige Kontrolle über Art und Umfang der übermittelten Daten. Neben der technischen Umsetzung werden auch neue Geschäftsmodellvarianten entwickelt, die sinnvolle Leistungspakete mit klarem Kundennutzen verbinden.

 

Hintergrundinformationen zur Fallstudie

AVL List GmbH
Location
Headquarter: Graz
Branche
Entwicklung von Antriebs- und Testsystemen für die Automobilindustrie
Anzahl der Mitarbeiter
Mehr als 8.000 weltweit (davon 3.450 in Graz)
Jahresumsatz
ca. 1.270 Mio. € Jahresumsatz (2015)
Hauptkunden/Branchen
Automobilindustrie
Wichtigste Märkte
Deutschland, USA, Japan
In der Fallstudie beschriebene Aktivität / Bereich
IoT Technologien zur sicheren Übertragung von Betriebsdaten
***
Geschäftsmodellmuster: Freemium, Digital Add on
**
Branchenübergreifende Kooperationen
**
Homepage des Unternehmens
www.avl.com

* = gewisse Bedeutung / in der Implementierungsphase** = wichtig / Teil der alltäglichen Geschäftsaktivität*** = sehr wichtig / kritische Business Funktion

 

Hintergrund, Ziele und Herausforderungen

AVL ist das weltweit größte unabhängige Unternehmen für die Entwicklung von Antriebssystemen (Hybrid, Verbrennungsmotoren, Getriebe, Elektromotoren, Batterien und Software) für Personenkraftwagen, Lastkraftwagen und Großmotoren. Der Unternehmensbereich Instrumentierung und Testsysteme (ITS) ist ein etablierter Hersteller und Anbieter von Instrumenten und Systemen für Antriebsstrang- und Fahrzeugtests, einschließlich Verbrennungsdiagnosesensoren, optischen Systemen sowie kompletten Motoren-, Antriebsstrang- und Fahrzeugprüfständen.

Intelligente Service-Dienstleistungen für Maschinen und Anlagen sind eine wichtige Voraussetzung zur Steigerung der Produktionseffizienz. Klassische Wartungs-, Reparatur- und Revisionsarbeiten werden nach wie vor meist reaktiv oder anhand eines fixierten Terminplans ausgelöst.

Die Smart Service Initiative von AVL zielt darauf ab die Instandhaltung zu optimieren, indem die Nutzungsdauer der Maschinen, auftretende Verunreinigungen und andere Indikatoren analysiert werden. Damit kann der tatsächliche Zustand von Sensoren und Geräten berechnet beziehungsweise der wirkliche Verschleiß präziser ermittelt werden.

Dies ermöglicht Herstellern, Anwendern und Instandhaltern proaktiv Service-Aktivitäten aus der Produkt-nutzung abzuleiten, wie zum Beispiel:

Proaktive Vermeidung von Fehlern oder Pannen
Vorbeugender Tausch von betriebsnotwendigen Verbrauchsmaterialien
Automatisierte Anwendung vordefinierter Reaktionsmuster im Fehlerfall

Die Nutzung dieser Daten verbessert die Entscheidungsfindung in Bezug auf Wartungs- und Reparatur-arbeiten sowie die Disposition von Service-Workflows und unterstützt hierdurch eine maximale System-verfügbarkeit. Ziel ist es, relevante Daten automatisiert auszuwerten und entsprechende Service-Angebote zu entwickeln. Diese „Smart“ Services sollen dabei weitgehend als IT-netzbasierte Dienste implementiert werden.

 

Industrie 4.0 Aktivität und Geschäftsmodellinnovation

Industrie 4.0 Projekte im Unternehmen

Das EU-Forschungsprojekt ARROWHEAD bietet für AVL die Möglichkeit, intelligente Wartungsservices für AVL Testequipment prototypisch zu entwickeln. Ziel dieses EU-Projekts ist es, Effizienz und Flexibilität durch vernetzte Automation zu steigern.

Folgendes Szenario dient als Grundlage für das Pilotprojekt: Ein Lieferant versorgt die Kunden der Automobilindustrie mit Prüfgeräten rund um den Globus. Aufgrund der Komplexität der Ausrüstung beziehungsweise Geräte müssen bestimmte Wartungsarbeiten regelmäßig vor Ort vom Lieferanten durchgeführt werden. Um diese Aufgaben zu optimieren und proaktiv zu planen, muss der Gerätehersteller zentral Informationen über den Gerätestatus erfassen, eine sogenannte Momentaufnahme des Betriebsstatus. Diese Momentaufnahme enthält die „Vitaldaten“ beziehungsweise den aktuellen Zustand eines Geräts in Form von definierten Parametern.

Im konkreten Beispiel anhand des AVL Particle Counters (APC) werden die Wartungsinformationen, der so genannte APC Fingerprint, an einen von AVL betriebenen zentralen Nachrichtenverteiler (Message Information Broker, kurz MIB) zur weiteren Verarbeitung der Informationen gesendet. Aufgrund der vertraulichen und hochsensiblen Daten wird das Message Queue Telemetry Transport (MQTT) Protokoll verwendet. Dieses Protokoll erlaubt eine zuverlässige und sichere End-to-End Datenübertragung.

Die Herausforderung besteht darin die gewonnenen Daten aufzubereiten, darzustellen und sinnvolle Service-Angebote zu entwickeln, um sowohl für den Kunden aber auch für den Hersteller einen Mehrwert zu generieren.

Auswirkungen auf das Geschäftsmodell

Auf Basis der im ARROWHEAD Projekt erfolgreich realisierten IoT Anbindung der AVL Testsysteme wurden in weiterer Folge mögliche Geschäftsmodelle für neue Services skizziert beziehungsweise ausgearbeitet. In mehreren Workshops wurden unter Einsatz des Value Proposition Canvas beziehungsweise Business Model Canvas neue Service-Packages entwickelt. In diesem Entwicklungsprozess wurden detailliert vier Geschäftsmodelle mit insgesamt 55 Features beschrieben, die vier zentrale kundenrelevante Nutzenversprechen adressieren:

Utilization
Availablity
Fun/Coolness
Efficiency

Als Erlösmodell wurde ein sogenanntes „Freemium“ Modell als erfolgversprechende Variante identifiziert. In jedem Service Package werden gratis Basisfunktionen angeboten, die als Abgeltung für übertragene Kundendaten bereitgestellt werden. Darüber hinaus werden kostenpflichtige Zusatzfunktionen (Premium) angeboten, die zusätzlichen Nutzen für den Kunden bieten.

Zusammengefasst ändert sich durch die AVL Smart Service Initiative das bestehende Service-Geschäfts­modell signifikant. In Abbildung 12 sind jene Geschäftsmodellkomponenten orange markiert, welche sich durch das neue Serviceangebot maßgeblich geändert haben. Die größten Veränderungen ergeben sich für die Bereiche Werteversprechen (neue Service-Packages durch die übertragenen Betriebsdaten) und Erlösmodell (Umstellung auf Freemium-Modell). Veränderungen ergeben sich aber auch bei den Vertriebskanälen, Schlüsselaktivitäten und Schlüsselpartnern.

Auswirkungen und Lessons Learned

Innovative, IT-gestützte Smart Services versprechen für hochautomatisierte industrielle Fertigungslinien signifikante Verbesserungen der Produktivität und Effizienz. Das Betreiben von internetgestützten, selbstständig kommunizierenden Systemen im Herzen einer Produktionslinie ist für Anlagenbetreiber ein höchst sensibles Thema. Eine robuste, überprüfbare Gerätesicherheit muss die Vertraulichkeit der Daten gewährleisten und darf keine Verletzungen der vorhandenen IT-Infrastruktur verursachen.

Die Herausforderungen bei der Entwicklung von innovativen Geschäftsmodellen bestehen einerseits in der Zusammenstellung von passenden Service-Packages und andererseits im Abwägen welche Funktionen gratis oder zahlungspflichtig angeboten werden sollen. Generell besteht bei neuen Geschäftsmodellen eine große Unsicherheit hinsichtlich der Nutzerakzeptanz. Aus diesem Grund sollte eine möglichst frühe Einbindung von Nutzergruppen (idealerweise Usability Tests mit Prototypen) angestrebt werden.

Referenzen

Diese Fallstudie wurde umgesetzt von Mag. Gert Breitfuss

evolaris next level GmbH www.evolaris.net

Die Fallstudie ist Teil des Forschungsberichtes „Handlungsempfehlungen zur digitalen Transformation durch Industrie 4.0 und neue Geschäftsmodelle“ (Markus Lassnig, Petra Stabauer, Georg Güntner, Gert Breitfuß, Katrin Mauthner, Michael Stummer, Michael Freiler, Andreas Meilinger; 2017)